Prof. Dr. A. Nitka über Katharina H.- Goldyns Dissertation
Als ich im März dieses Jahres an unserer Akademie die Dokumentation zur Beurteilung der Doktorarbeit von Frau Katharina GOLDYN - Vogl erhielt, war daserste, was ich tat,
den riesigen, mit dicken Ordnern undtheoretischen Arbeiten gefüllten Karton zu wiegen.
Das Gewicht derDokumentation bestätigte meine Neugier und Bewunderung des schöpferischen Fleißes und der pädagogischen Arbeit sowie der Gewissenhaftigkeit, mit der sich die Kandidatin an die Durchführung ihres Promotionsverfahrens gemacht hat.
Das Ergebnis waren über 13,5kg! Man kann sagen, dass wir es mit einem Schwergewicht – wie im Sport – zu tun haben. Als ich die Arbeiten von Frau Goldyn Seite für Seite durchsah
(Bilder, Zeichnungen, Objekte, Fotos von Ausstellungen und Vernissagen, etc.), stellte ich fest,
dass ich eine nicht unterwürfige, sondern mutige und unglaublich ehrliche Kunst beobachtete.
Diese Kunst sagt über ihren Urheber aus, dass künstlerische Arbeit für ihn eine Freude ist,
ein Spiel und ein spontaner Akt der Schöpfung.
Get Stankiewicz sagte mir einmal, dass es nicht gut ist, wenn derKünstler einen so genannten
„A....krampf“ hat [~gehetzt ist]. Ich denke, diese treffende Maxime sollte bei jedem Künstler
im Atelier hängen. Selbstverständlich gibt es verschiedene Arten derSchöpfung – sie kann
mehr oder weniger spontan, präzis, ziseliertsein oder hat absichtlich den Eindruck zu erwecken,
dass sie nichtakzeptiert wird. Es gibt auch eine engagierte, ideelle undkämpferische Kunst.
Es gibt ebenfalls eine reine – hedonistische Kunst.
Jeder Künstler verwendet eine für sich entdeckte und entwickelte Form.
Sicher ist, dass die Ehrlichkeit in der Kunstwichtig ist – so wie im Blues.
Ein Musiker sagte einmal: „Wenn dunicht ehrlich bist, dann existierst du schon am Anfang nicht.
Ich kann Ihnen allen versichern, dass Frau Goldyn ihre Arbeit ernst nimmtund ohne diese … na
ja – Bezeichnung von Get.
Ich nenne die Kunst Goldyns ehrlich und frisch, sie selbst bezeichnet sie alsutopisch – sie hat
nämlich ihre Dissertation folgendermaßen betitelt:
„Utopie in der Malerei – Gesellschaftliche Utopie als Inspiration in der Malerei“.
Im Grunde liegen diese beiden Definitionen sehr nahe beieinander, trotzdempräzisiert
Frau Goldyn in ihrer theoretischen Doktorarbeit die Bedeutung dieses Terminus „Utopie“.
Im 16. Jahrhundert hat Thomas More, genannt Morus, das Wort „Utopie“ erfunden
und ins Lebengerufen – in negativer Bedeutung, d.h. als Arbeit ohne Zweck, als Idee,
die auf Misserfolg angewiesen ist, als Phantasterei. Im 20.Jahrhundert lebte dieser Terminus
jedoch wieder auf und wurde populär; seine Bedeutung veränderte sich vollkommen.
Seit dieserZeit existiert die Utopie als Maxime für Künstler, die nach Modernestreben,
alles Alte ablehnen und sich wünschen, das Alte „auf der anderen Seite des Flusses“ zu lassen.
Dies erinnert selbstverständlich an das Manifest „Die Brücke“. Schon vorhundert Jahren sagte
der Philosoph aus Breslau - Ernst Cassirer - (in Goldyns Arbeit zitiert): „Utopie ist nicht das
Porträt des realen Lebens und nicht der Ordnung der politischen und gesellschaftlichenRealität.
Sie existiert in keinem Moment der Zeit und in keinem Punkt des Raumes. Das ist NIRGENDS.
Trotzdem hat in der Entwicklung der Neuzeit solches Zeichen NIRGENDS die Kraft bewiesen und die Probe bestanden.“
Frau Goldyn gesteht, dass Künstler wie Joseph Beuys, Anselm Kiefer und FranciscoClemente
einen großen Einfluss auf die Gestaltung ihrer künstlerischen Persönlichkeit hatten – Beuys z.B.
wegen seiner Sozialkunst und seiner ständigen Bemühungen um die Bildung derGesellschaft
und um das Bewusstsein für Ökologie zu wecken. Ein engagierter Künstler zu sein hat für
Frau Goldyn, so wie für Beuys, hohe Priorität. Sie unterrichtet Kunst, trägt zur Integration des
Künstlermilieus bei, näher steht ihr die Angelegenheit der geistig kranken Menschen, und sie
kritisiert das Verhalten der Politiker. Anselm Kiefer ist für Frau Goldyn auch einsozialkritischer
Künstler – er erinnert die Deutschen immer wieder an ihre unrühmliche Geschichte.
Francisco Clemente, der Maler der italienischen ‘Arte Cifra‘, machte ihr wiederum bewusst, was
esbedeutet, sich mit der Kunst zu paaren – also eine unbeschränkteFreiheit aus dem Erwerb
der Kultur zu nutzen. Sie realisiert ausgezeichnet den Unterricht der von ihr geliebten Künstler,
fügt aber zu diesem Unterricht individuelle Werte und ihre eigene Welthinzu – in sehr
persönlicher, autobiografischer, nachdenklicherund träumerischer Weise, aber in aggressiver
Form mit Farbe zugedeckt – mit Dissonanzen der Kompositionen und mit Schwung verwendeten räumlichen Elementen, die aus Zweigen,Plastikspielzeugen, Gummihandschuhen, BH’s und
leuchtenden Glühbirnen bestehen. Auf den Bildern stellt sie meistens ihre eigene Person oder
ihren Kopf zentral, axial, monumental dar, oft als groteske oder märchenhafte Darstellung - als
Waldfee oder Geist? Es gibt auch Bilder, auf denen die Komposition sehr stark ausgebaut ist
oder die sexuellen Szenen zweier abstrakter Personen, die nichteindeutig dem weiblichen oder
dem männlichen Geschlecht zuzuordnen sind, von Frau Goldyn dargestellt werden.
So sind die Bilder Goldyns. Ich nenne hier einige Titel: „Waldimpression“ (2010),
„Das Gebet an die Göttin“ (2009/2010), Zyklus unter dem Titel „Fünf Wünsche für Schamanin“ (2010), „Selbstporträt“ (2009/2010) oder „Neuer Mensch“ (2010).
Ich freue mich immer über solches Schaffen wie dem von Frau Goldyn.
Ihr Schaffen gehört zum Gebiet der spontanen Kunst des 20. Jahrhunderts, zu den Künstlern
wie Pollock, Dubuffet, Niki de Saint-Phalle, der Gruppe COBRA und Art Brut. Frau Goldyn führt
das Werk dieser Künstler fort und ist fast eine einsame Insel zwischen einer Menge Tendenzen
der heutigen Kunst - eine „Gute Utopie“. In unserer Zeit der Dominanz der elektronischen
Plastik oder der Massenfiguration nach Tuymans, gebührt der Malerin Goldyn deshalb besondere
Bewunderung und echte Anerkennung.
Ausschnitt des Textes von Prof. Dr. A. Nitka
( Abteilung Malerei und Bildhauerei )
Akademie der Bildenden Künste, Breslau 2011